Vertrauen in Politiker*innen? Analyse der Inhalte von Politiker-Websites
Ich möchte den Versuch starten, Politiker wie Selbständige oder Unternehmen zu beurteilen und ihre Vertrauenswürdigkeit anhand ihrer persönlichen Websites zu beurteilen. Geht das überhaupt? Gelten die gleichen Kriterien für Vertrauenswürdigkeit? Was ist in der Politik besonders wichtig? Und funktioniert das anhand der persönlichen Websites?
Die Wirkung von Politikerinnen und Politikern findet primär medial statt, sei es in Talkshows, Presseberichten oder Social Media. Dazu kommen die Auftritte vor Ort, die bei Lokalpolitikerinnen eine wesentliche Rolle spielen. Kaum jemand schaut sich die Websites der wichtigsten zur Wahl stehenden Personen an. Oder? Es liest ja auch kaum jemand die Parteiprogramme wirklich durch. Wenn man aber davon ausgeht, dass die Inszenierung der Politiker auf ihren persönlichen Websites von Online Marketing Agenturen sorgfältig überlegt ist und die Statements in Talkshows, im Straßenwahlkampf, etc. aus der gleichen Feder stammen, ist es stimmig, die Vertrauenswürdigkeit anhand der Inhalte und der Content Marketing Strategie der Websites zu beurteilen.
Es geht hier auch nicht um die Parteien, sondern völlig losgelöst um die Wirkung der Personen. Es ist wie in einer Umfrage, in der die Frage gestellt wird: „Für wie vertrauenswürdig halten Sie die Person …?“. Die gleiche Frage stellt sich für jede Politikerin und jeden Politiker, der sich in seinem Wahlkreis zur Abstimmung stellt. Gelegentlich gelingt es ja einzelnen Persönlichkeiten bei der Erststimme im Wahlkreis deutlich besser abzuschneiden als die Partei. Da ich davon ausgehe, dass nicht jede Wählerin oder jeder Wähler im persönlichen Kontakt überzeugt wurde, muss die Kommunikation über Website etc. ihre Wirkung entfaltet haben.
In meiner Methode VERTRAUENSBAUSTEINE habe ich sechs Hauptpunkte identifiziert, die für die Ausstrahlung von Vertrauen wichtig sind: Kundenorientierung, Kompetenz, Integrität, Resultate, Aura und Persönlichkeit. Diese lassen sich mit 18 Unterpunkten detaillierter beurteilen. In jeder Branche haben die einzelnen Punkte eine andere Gewichtung. Für Rechtsanwälte ist Entschiedenheit besonders wichtig, für Handwerker Resultate und Verantwortung, für Ärzte Kompetenz und Klarheit usw.
Funktioniert das auch für Politiker? Natürlich. Denn es geht immer um Vertrauen. Vertrauen zu einem Arzt, Vertrauen zu einem Handwerker, Vertrauen zu einem Politiker – es gelten die gleichen Bedingungen, um dieses Gefühl zu erzeugen. Lediglich die einzelnen Bausteine sind unterschiedlich zu bewerten.
In der Beurteilung von politischen Personen ist der folgende politische Vertrauensbaukasten relevant:

Warum sind diese Punkte und nicht die anderen hier berücksichtigt worden?
Die Persönlichkeit des Politikers spielt eine große Rolle. Die Frage ist hier, welcher Typ am vertrauenswürdigsten ist. Aus meiner Perspektive wäre der Idealtyp eine Mischung aus 2/3 Autorität und 1/3 Eroberer, eher Barack Obama als Elon Musk. Der Mensch auf Augenhöhe ist für politische Entscheidungsträger keine relevante Rolle.
Für die Beurteilung der Kompetenz sind die Faktoren Fachwissen, Prozesswissen, Erfahrung, Leidenschaft und Kapazität von Bedeutung. Da bei allen politischen Personen zumindest auf Bundesebene davon auszugehen ist, dass sie für den Job 100% ihrer persönlichen Kapazität einsetzen würden, spielt dieser Wert hier keine Rolle. Lediglich bei Lokalpolitikern sollte es eine Erwähnung wert sein, dass sie mit vollem Einsatz zur Verfügung stehen. Interessanterweise und immer wieder diskutiert ist auch das Fachwissen nachranging. Kaum ein Minister hat das Fach, dem er vorsteht, gelernt. Die Kenntnis der politischen Prozesse ist schon wichtig, wird jedoch im Zweifel auch vorausgesetzt. Für die Beurteilung der Kompetenz sind daher die Faktoren Erfahrung und Leidenschaft wichtiger.
Aus der Kundenorientierung wird im Falle des Politikers die Wählerorientierung. Hier müssen wir uns fragen, welche Themen für die potenziellen Wähler gerade am bedeutendsten für ihre Wahlentscheidung sind. Auf Bundesebene sind dies laut Forschungsgruppe Wahlen: Politbarometer jetzt im Mai 2021:
- Coronavirus 76%
- Umwelt/Klima/Energiewende 26%
- Bildung 6% | Ausländer, Integration, Flüchtlinge 6% | Soziales Gefälle 6%
Je nach Umfrageinstitut haben auch noch andere Werte eine große Bedeutung, wie beispielsweise Digitalisierung. Auffallend ist aber durchweg, dass die typischen Themen für Rechtsaußen-Wähler, wie Migration und innere Sicherheit, aktuell nicht im Fokus stehen. Um zu überprüfen, wie vertrauenswürdig die Inhalte einer Website den dahinter stehenden Politiker wirken lassen, ist immer wieder neu zu checken, welche Themen für die potenziellen Wähler, sei es in einer Stadt, einem Bundesland oder auf Bundesebene, gerade relevant sind.
Um die Wählerorientierung eines Politikers zu beurteilen, schaue ich mir also an, inwieweit sie oder er auf die zuvor genannten fünf wichtigsten Themen eingeht. Jeder Politiker sollte sich zu den Themen, die die potenziellen Wähler beschäftigen, eine Meinung bilden und diese kommunizieren. Damit zeigt er, dass er sich für die Themen der Menschen interessiert und Lösungen anbietet.
Für die Aura des Politikers sind eine Reihe an Unterfaktoren von Bedeutung. Nicht berücksichtigt habe ich die Nähe. Je näher uns jemand ist, umso vertrauenswürdiger ist er. Im Falle von Bundespolitikern spielt es aber kaum eine Rolle, ob sie oder er aus Lübeck, Erlangen oder Aachen kommt. Und im Falle von Lokalpolitikern kommen die meisten ohnehin aus der Region. Auch das Kollektiv (in diesem Fall die Partei) hat zwar eine große Bedeutung, ist aber nicht ohne weiteres veränderbar. Für viele Menschen sind Politiker aus einer bestimmten Partei pauschal nicht vertrauenswürdig. Das gleiche gilt anders herum, sodass Politikern aus einer bestimmten Partei pauschal mehr Vertrauen entgegen gebracht wird. Die wenigen prominenten Parteiwechsel (wie beispielsweise Otto Schily) lasse ich hier außen vor. Zukunftserwartung ist höchstens bei älteren Politikern, wie aktuell Winfried Kretschmann, ein Faktor, dem ich hier aber auch niedrige Bedeutung beimessen würde. Und zuletzt die Transparenz ist zwar auch wichtig (Thema Spendengelder), jedoch nachrangig für die Beurteilung der Vertrauenswürdigkeit.
Die wichtigen Faktoren für die Aura des Politikers sind:
Die Marke. Dies beinhaltet für mich den kompletten Bereich des Designs. Ist die Website zeitgemäß gestaltet? Wie sind die Fotos aufgenommen? Welche Schriftarten werden verwendet? Welche Farben? Entspricht die visuelle Darstellung den inneren Werten des Politikers?
Die Klarheit. Sind die Inhalte für jeden klar und einfach verständlich? Haben die Texte kurze und prägnante Sätze? Verstehe ich schnell, welche Schwerpunkte gesetzt werden?
Die Entschiedenheit. Weiß der Politiker, was er will? Vermittelt er mir, dass er seine Ziele mit aller Entschiedenheit durchsetzen will? Traue ich es ihr oder ihm zu, dass auch durchzusetzen?
Die Innovationskraft. Es ist keine neue Erkenntnis, dass politische Wahlen mit Lösungen für die Zukunft entschieden werden. Hat der Politiker innovative Ideen für Stadt, Land oder den Bund in den kommenden Jahren? Oder sind es immer nur die gleichen Lösungen, die vorgestellt werden? Um jemandem zu vertrauen, braucht es schon das Gefühl, dass sie oder er auch in Zukunft neues Wissen und neue Technologien im Interesse der Wähler aktiv einsetzen wird.
Die Beständigkeit. Gleichzeitig mit der Innovationskraft ist aber auch die Beständigkeit ein wichtiger Faktor für die Beurteilung von Vertrauenswürdigkeit. Jemand, der jedem schnellen Trend hinterher läuft, ist nicht vertrauenswürdig. Klare Werte, an denen man sich orientiert, helfen dabei, die langen Linien beständig zu verfolgen.
Ergebnisse sind in vielen Branchen der wichtigste Faktor für die Beurteilung von Vertrauenswürdigkeit. Auch bei Politikern würde es diesen Punkt nicht außen vor lassen. Als Frau Merkel sich nach 8 Jahren zum dritten Mal zur Wahl stellte, musste sie nur auf ihre Resultate als Kanzlerin verweisen. Das spricht für sich und ist überzeugend (natürlich nur, wenn die Ergebnisse stimmen). Generell hilft es jedem Politiker, wenn er hier zeigen kann, was er in seiner politischen Karriere bereits angestoßen und umgesetzt hat.
Die Integrität ist einer der wichtigsten Faktoren, um Politiker zu beurteilen. Wer integer ist, handelt im Einklang mit seinen Werten und seinem übergeordneten Ziel. Um das beurteilen zu können, ist es also zunächst mal wichtig, ob ich beim Anschauen der Website verstehe, welches übergeordnete Ziel und welche Werte der Politiker hat. Im zweiten Schritt kann ich mir anschauen, wie die bisherigen Reden, Anträge, Statements etc. dazu passen oder auch nicht. Um beim Beispiel Angela Merkel zu bleiben. Für viele CDU-Wähler war es nicht integer, der Atomkraft abzuschwören und die Wehrpflicht abzuschaffen. Da bedarf es schon einer ziemlichen Überzeugungsarbeit um darzulegen, warum und wie sich die eigenen Werte und inneren Überzeugungen geändert haben. Wenn das nicht gelingt, wird es schwer vertrauenswürdig zu bleiben.
Wenn es also nun um die Analyse von Politiker-Websites geht, müssen aus unserer Content Marketing Agentur-Perspektive diese Faktoren berücksichtigt werden. Welcher dieser Faktoren hat wie viel Gewicht? Da es leichte Überschneidungen zwischen Erfahrung und Ergebnissen gibt, bewerte ich die Ergebnisse nur mit 10 maximal erreichbaren Punkten. Die wichtigsten Faktoren sind aus meiner Perspektive die Wählerorientierung und die Aura. Diese beiden Bereiche erhalten jeweils 20 maximal mögliche Punkte. Die Kompetenz bewerte ich ebenfalls mit maximal 20 Punkten. Da die Persönlichkeit auch Schnittmengen mit der Aura hat, gibt es für sie ebenso wie für die Integrität nochmal jeweils maximal 15 Punkte. Somit stehen für die Einschätzung von Politiker-Websites insgesamt höchstens 100 Vertrauenspunkte zur Verfügung.
Diese Analyse werde ich in den kommenden Wochen bei der ein oder anderen Politiker-Website anwenden und bin schon sehr gespannt, was dabei heraus kommt.
In einer früheren Version dieses Blogposts war die Aufteilung der Faktoren etwas anders. Das habe ich angepasst.
Beispiele für die Beurteilung von Websites: Armin Laschet | Annalena Baerbock | Olaf Scholz